Numa Manhart
Borova Komplex, 2025
Inkjet-Print, Holz, 200 × 200 cm
Ein Verkaufsschild, wie man es von Strassenrändern kennt, kündigt in kyrillischer Schrift einen Neubau an. Als Vorbote der Gentrifizierung verspricht die Architekturvisualisierung modernes Leben in einer grünen Oase. Die üblichen Angaben – Kontakt, Adresse und Details zu den Eigentumswohnungen – sind vermerkt. Der frühestmögliche Bezugstermin liegt bereits über drei Jahre in der Vergangenheit: der 4. März 2022, nur eine Woche nach Beginn des Ukrainekriegs.
Das Schild wirbt für einen Wohnkomplex in der ukrainischen Stadt Sjewjerodonezk, in der Oblast Luhansk. Diese Stadt, ursprünglich als Arbeiter:innensiedlung für das Chemiekombinat Azot gegründet, hat eine lange, politisch brisante Geschichte. 2004 erlangte sie durch den Allukrainischen Kongress politische Bedeutung, als prorussische Parteien versuchten, das Land zu spalten. Nach der russischen Annexion der Krim und dem Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine 2014 kam Sjewjerodonezk unter die Kontrolle prorussischer Separatisten, bis die Stadt im Sommer desselben Jahres wieder ukrainisch wurde.
Heute, mitten im seit 2022 andauernden Ukrainekrieg, hat die Stadt eine besondere strategische Bedeutung. An der Schnittstelle der Städte Luhansk, Charkiw und Donezk gelegen, ist sie ein Ort von militärischem Interesse. Umgeben von Steppenlandschaften, die im Frühling zum Überschwemmungsgebiet werden, ist die Stadt nur über Brücken erreichbar. Der fiktive Neubaukomplex, an der Bodana Lishchiny Strasse in Verlängerung der Brücke über den Fluss Borova, liegt im direkten Spannungsfeld zwischen Zukunftsvision und gegenwärtigem Chaos.
Die Menschen in der Ukraine sind seit dem Ausbruch des Krieges mit einer völlig neuen Lebensrealität konfrontiert. All das, worauf man sich einst freute – die Sicherheit, das Zuhause, das Planen einer Zukunft – ist ins Wanken geraten. Was gestern noch als Normalität galt, ist heute nur noch ein ferner Traum.
Das fiktive Verkaufsschild, das hier eine Zukunft verspricht, steht in scharfem Kontrast zu dieser neuen Realität. Es ist mehr als nur ein Symbol für ein verpasstes Versprechen. Es ist der Versuch, etwas zu verkaufen, das nicht mehr existiert, oder vielleicht nie existieren wird.
Kurzbio
Numa Manharts künstlerisches Schaffen ist in politischem Engagement verwurzelt und reflektiert soziale Themen. Sein Werk fokussiert sich auf marginalisierte Gruppen, deren Einfluss und Bedeutung in der Gesellschaft unterschätzt werden. Aktuell studiert er Fotografie an der F+F Schule für Kunst und Design.